Gebethner

 

Die Familie Gebethner kam im 17. Jahrhundert aus Deutschland nach Krotoschin in Großpolen. Stammvater der Gebethner-Dynastie in Polen war Georg Friedrich Gebethner (1727–1797), geboren in Krotoschin. Er starb in Warschau und hinterließ einen Sohn, Gottfried August (1759–1823). Gottfried August Gebethner heiratete Anna Regina Raschke (1767–1836) und hatte mit ihr drei Söhne und zwei Töchter. Der Sohn Wilhelm Fryderyk Gebethner (1797–1872) gründete in der Tamka-Straße einen Produktionsbetrieb für Seifen und Stearinkerzen. 1827 wurde er in das Einwohnerbuch von Warschau aufgenommen und während des Novemberaufstandes 1830/31 kämpfte er in den Reihen der polnischen Nationalgarde. Nach der Schließung seines Betriebes wurde er in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Beamter in der Hauptdirektion der Ländlichen Kreditgesellschaft. Wilhelm Fryderyk Gebethner hatte drei Söhne, von denen zwei, Jan Feliks und Gustaw Adolf, eine wichtige Rolle im Kulturleben Warschaus und Polens spielten. Gustaw Adolf Gebethner (1831–1901) lernte Buchhändler bei Rudolf Friedlein, wo er seinen zukünftigen Teilhaber Robert Wolff kennenlernte. Am 4. September 1857 erhielt Gustaw Adolf die Genehmigung der Kaufmännischen Gesellschaft, eine Buchhandlung zu eröffnen – unterschrieben von den Ältesten des Verbandes, Krzysztof Brun und Teofil Fukier. Im November 1857 eröffneten Gustaw Gebethner und Robert Wolff in der Hauptwache des Potocki-Palais (neben dem Europejski Hotel) in der Krakowskie-Przedmieście-Straße die Buchhandlung „Gustaw Gebethner und Co.“. Es war eine Verlagsbuchhandlung mit Notensetzerei, die ab 1872 „Gebethner und Wolff” hieß. Hier wurden die musikalische Werke Stanisław Moniuszkos und viele Titel der polnischen Literatur herausgegeben, u.a. von Bolesław Prus, Henryk Sienkiewicz, Eliza Orzeszkowa und Władysław Reymont, darüber hinaus Schullektüre und günstige Lehrbücher für alle Schultypen.


Jan Feliks Gebethner eröffnete 1879 ein Klaviergeschäft über der Buchhandlung in der Krakowskie-Przedmieście-Straße 15. Nach seinem Tod führten seine Söhne Kazimierz und Stefan das Geschäft weiter, das bis 1939 bestand.


1867 kauften „Gebethner und Wolff” die Zeitung „Kurier Warszawski” (Warschauer Kurier), verkauften sie nach 20 Jahre wieder und erwarben den „Kurier Codzienny” (Tageskurier) und den „Tygodnik Ilustrowany” (Illustrierte Wochenzeitung). In der Zwischenkriegszeit kamen die Tageszeitung „Przegląd Sportowy” (Sportschau) und die Illustrierte „Naokoło Świata“ (Rund um die Welt) hinzu. Zu dem Unternehmen gehörten mehrere Buchhandlungen, u.a. in der Krakowskie-Przedmieście-Straße und der Zgoda-Straße in Warschau, sowie in Lodz, Krakau, Wilna, Lublin und Zakopane. 1925 wurde eine Filiale in Paris eröffnet, die bis 1935 bestand.


Jan Stanisław Gebethner (1894–1981), der Enkel von Jan Feliks, und Jakub Mortkowicz riefen 1918 die Polnische Gesellschaft der Eisenbahnbuchhandlungen RUCH ins Leben, die 1935 700 Verkaufspunkte in ganz Polen besaß. 1929 kauften die Erben Jan Robert Gebethners den Erben Robert Wolffs ihre Anteile ab. Die Firma behielt jedoch den Namen „Gebethner und Wolff“. Geschäftsführer war Jan Stanisław Gebethner.


Nach dem Ausbruch des Krieges übernahmen die Deutschen den Verlag und die meisten Immobilien der Firma. Jan Stanisław Gebethner führte jedoch weiterhin die Buchhandlungen in der Zgoda-Straße 12 und der Targowa-Straße 48, wo er u.a. militärische Bücher für den polnischen Untergrund verbreitete. Jans Sohn Zygmunt Maksymilian Gebethner (geb. 1923), kämpfte für die Heimatarmee und wurde im Warschauer Aufstand schwer verletzt. Für seine Verdienste wurde er mit dem militärischen Verdienstorden Virtuti Militari und dem Tapferkeitsorden ausgezeichnet. Nach der Rückkehr aus deutscher Kriegsgefangenschaft 1945 bauten er und sein Vater das Geschäft auf der Grundlage der einzigen erhalten gebliebenen Buchhandlung in der Targowa-Straße in Praga wieder auf. 1952 zwangen die Behörden „Gebethner und Wolff“, die Verlagstätigkeit einzustellen. Formell hörte Verlag erst 1973 auf zu existieren, als eine Gerichtsentscheidung das Konkursverfahren abschloss. Die Buchhandlung in der Targowa-Straße 48 bestand bis 1969, bis 1973 befand sie sich in der Ząbkowska-Straße 3. Zygmunt Gebethner arbeitete seit den 1950er Jahren im Staatlichen Wissenschaftsverlag. 1990 reaktivierte er die Firma in Warschau unter dem Namen „Gebethner und Co.”, die sich auf den Druck von fremdsprachlichen Lehrbüchern spezialisierte. Sie bestand bis 1997, die Firmenbuchhandlung befand sich in der Anders-Straße.


In Warschau leben heute Zygmunt Maksymilian Gebethner (geb. 1923), sein Sohn, der Künstler und Maler Robert Emanuel (geb. 1950) und der Enkel Piotr Paweł (geb. 1982). Zudem wohnen hier der Bruder Zygmunts, der Professor, Jurist und Politologe Stanisław Tytus Gebethner (geb. 1935) und sein Sohn Marcin Stefan (geb. 1963) sowie die Nachkommen von Jan Feliks – der Urenkel Maciej (geb. 1943) und sein Sohn Bartosz (geb. 1982). In Kanada leben der Sohn von Wacław Robert, Ryszard Gebethner (geb. 1956) und der Enkel Aleksander Michał (geb. 1985). (SG)

 

„[…] 1912 organisierten wir im Warschauer Sportkreis drei Mannschaften „Polonia“. Nachdem ich zum Studium nach Krakau gegangen war, begannen meine zwei jüngeren Brüder Tadeusz und Wacław mit dem Fußball. Sie spielten in den Farben der „Schwarzhemden“, denn so haben die Warschauer sie getauft. In der Zeit war die Lage so, dass man einen Klub unabhängig vom Sportkreis in der [Sportanlage] Agrykola gründen konnte. Vorsitzender dieses Klubs war Piotr Blitek und mein Bruder Tadeusz war der Kapitän der ersten Mannschaft. Organisatorische Treffen fanden in der Wohnung meiner Mutter statt und dort entstand 1913 der Klub mit allen notwendigen Attributen wie Vorstand, Vollversammlung usw.“
Jan Gebethner, Młodość wydawcy (Die Jugend eines Verlegers), Warszawa 1977, S. 333.

 

Gustaw Adolf Gebethner, Buchhändler und Verleger, Mitgründer des Verlages. TWŚ

 

Buchhandlung der Firma „Gebethner und Wolff“ in der Krakowskie-Przedmieście-Straße 15, um 1938. NAC

 

Buchhandlung der Firma „Gebethner und Wolff“ in der Krakowskie-Przedmieście-Straße 15, um 1938. NAC

 

Schaufenster der Gebethner-Buchhandlung mit arrangierten Büchern, 1929. NAC

 

Innenräume der Buchhandlung „Gebethner und Wolff“. NAC

 

Dr. Jan Stanisław Gebethner, Buchhändler und Verleger. BN

 

Haus Jan Gebethners an der Ecke Nowo-Sienna-Straße (heute Sienkiewicz-Straße) und Zgoda-Straße mit der zweiten Buchhandlung und dem Verlag, 1914. TWŚ

 

Mannschaft KS Polonia; u.a. Wacław Gebethner (sitzend erster von links); Tadeusz Gebethner (kniend erster von rechts), Warschau 1915. MSiT

 

Verabschiedung der Offiziere des 24. Ulanenregiments, die sich auf den Weg zu einem Kurs der sog. „cichociemni“ (geheime Fallschirmjäger) machten....

 

Tadeusz Gebethner. MSiT

 

Wacław Gebethner. NAC

 

Ruinen des Hauses in der Zgoda-Straße nach 1945. SG